Dr. Dirk Heißerer
Rede zur Einweihung der Thomas-Mann-Halle in der Ludwig-Maximilians-Universität München am Donnerstag, den 26. September 2002

Magnifizenz, lieber Herr Professor Heldrich, Frau Prodekanin Professor Klippel, meine Damen und Herren,

die Bemühungen um ein würdiges Andenken an den 40-jährigen Aufenthalt Thomas Manns in München erfahren in diesem Herbst einen neuen Höhepunkt. In der Ludwig-Maximilians-Universität ist die Ausstellungshalle „Nord“ im Hauptgebäude am Ende des Dekanatsflurs bereits in „Thomas-Mann-Halle“ umbenannt worden und wird so erstmals im Vorlesungsverzeichnis für das kommende Wintersemester firmieren. Der gemeinsam mit dem scheidenden Rektor Prof. Dr. Heldrich entwickelte Plan, für die „Thomas-Mann-Halle“ eine würdige Bronzebüste zu erwerben, konnte in diesem Sommer mit vereinten Kräften in die Tat umgesetzt werden. Mit großer Freude können wir daher als ein weiteres Ergebnis unserer schon mehrere Jahre andauernden Bemühungen um eine Heimstätte für Thomas Mann und seine Familie in München nun die schöne und zukunftsfrohe Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität mit dieser kleinen Tauffeier, diesem geistigen Richtfest feiern.

Als wir vor einem Jahr die ersten Gespräche führten, stießen wir gleich auf große Zustimmung und Bereitschaft. Freilich war der Weg bis dahin ein wenig umständlich. Zunächst bestand ja der Plan einer Thomas-Mann-Stätte im Herzogpark. Doch die Pläne, den Nachfolgebau des einstigen Hauses der Familie Mann zu erwerben und eventuell sogar einen Neubau im alten Stil dort zu errichten, zerschlugen sich, wenigstens für unseren Förderkreis. Inzwischen hat allerdings, auch ein Ergebnis unserer Bemühungen, ein junger Frankfurter Investmentbanker die Idee aufgenommen und wird in naher Zukunft das Haus Thomas Manns maßstabsgetreu wieder aufbauen. Auch wenn das Haus dann ausschließlich privat genutzt wird, bekommt München damit eine kulturgeschichtliche Visitenkarte zurück.
Und das ist ganz im Sinne Thomas Manns selbst. In einer Rundfunkrede 1942 hat er anlässlich der Zerstörungen des Buddenbrook-Hauses in Lübeck durch alliierte Flieger gesagt: „Auf eigene Art einem Beispiel folgen, das ist Tradition. Das alte Bürgerhaus, von dem man nun sagt, dass es in Trümmern liege, war mir immer das Symbol der Überlieferung, aus der ich wirkte, aber solche Trümmer schrecken nicht denjenigen, der nicht nur aus der Sympathie für die Vergangenheit, sondern auch aus der für die Zukunft lebt.“

Als sich für unseren Förderkreis die Hauspläne im Herzogpark zerschlugen, hatte ich die Idee, einmal in der Nachbarschaft zu fragen, ob es vielleicht möglich wäre, dort unterzukommen. Als erstes kam mir die Ukrainische Freie Universität in den Sinn, im ehemaligen Haus der Familie Hallgarten, der Freunde der Familie Mann, an der Pienzenauerstraße 15. Der zuständige Professor Rudnicky empfing mich mit offenen Armen und meinte, für Thomas Mann tue er alles. Dieser Impuls aber kam Prof. Heldrich zu Ohren, und seine ebenso prompte wie entschiedene Entscheidung war, Thomas Mann ins Hauptgebäude der LMU einzuladen, in direkte, unmittelbare Nähe zur Denkstätte Weiße Rose und damit die politische Relevanz seiner Entscheidung zu unterstreichen.

Die erste Entscheidung war, diese Halle Nord in Thomas-Mann-Halle umzubenennen. Davon ausgehend haben sich bereits Gespräche mit dem Dekan Professor Jäger der Fakultät für Sprache und Literaturwissenschaften entwickelt, wie und wo eventuell eine Forschungsstätte für Thomas Mann im Rahmen des neu zu errichtenden Philologicums eingerichtet werden könnte. Und zum Ende der Amtszeit von Professor Heldrich wollten wir daher auch gemeinsam ein Zeichen setzen, um auch in Zukunft gemeinsam mit dem neuen Rektor Professor Huber diese Pläne weiter verfolgen zu können.

Im Frühjahr, anlässlich der Gespräche zur Vorbereitung unseres ersten gemeinsamen Abends, der Vorstellung der Neuauflage des Buches von Professor Sontheimer über „Deutschland und die Deutschen“ am 18. März 2002 in der Großen Aula und im Senatssaal, kam die Rede auch darauf, eine Büste für die Thomas-Mann-Halle zu besorgen. Dem Thomas-Mann-Förderkreis ist es dann im Frühsommer gelungen, von der Tochter Gisela des Thomas-Mann-Verlegers Dr. Gottfried Bermann Fischer (1897-1995) einen von Bermann Fischer selbst großartig gestalteten überlebensgroßen Bronzekopf „Thomas Mann“ aus dem Jahr 1970 zu erwerben.

Nach dem Gedenktafelkunstwerk am Haus Franz-Joseph-Straße 2 für die Familie Mann (2000) und der neuen „Buddenbrooks“-Gedenktafel am Haus Feilitzschstraße 32 („Wirtshaus Seerose“), die morgen, am 27. September, um 11 Uhr enthüllt wird (Gestaltung in beiden Fällen: Joachim Jung), ist die Bronzebüste „Thomas Mann“ eine weitere dauerhafte Erinnerungsform an die für Thomas Manns Leben und Werk so entscheidenden Münchener Jahre 1894-1933. Dieses prägnante Werk, das wir jetzt als neuen guten Geist in der Thomas-Mann-Halle bewundern können, hat eine ganz eigene Geschichte, und ich will Sie Ihnen wenigstens in Grundzügen kurz darstellen.

Die Verlegerfamilie Fischer ist Thomas Mann seit dem Debüt des jungen Autors mit dem Novellenband „Der kleine Herr Friedemann“ 1898 seit mehr als einem Jahrhundert geradezu familiär verbunden. Das in München entstandene Hauptwerk Thomas Manns, von den „Buddenbrooks“ (1901) über den „Zauberberg“ (1924) bis zum ersten der vier „Joseph“-Romane, hat der S. Fischer Verlag unter der Leitung seines Gründers Samuel Fischer durchgesetzt und dem Autor zusammen mit seiner Frau Hedwig auch in den schwierigen Jahren des Ersten Weltkriegs und der politischen Neuorientierung des national konservativen Ästheten Thomas Mann zum sozialen Demokraten in den Zwanziger Jahren die Treue gehalten.

Der 1897 in Schlesien als Sohn eines jüdischen Arztes geborene Dr. Gottfried Bermann studierte zunächst Medizin, unter anderem in München, und praktizierte bereits als Chirurg in Berlin, bevor er 1925 in den S. Fischer Verlag eintrat und 1926 Fischers Tochter Brigitte heiratete. Sein Gesellenstück lieferte Bermann, der sich fortan Bermann Fischer nannte, im Jahr 1929 mit einem gigantischen Verkaufserfolg einer billigen Volksausgabe der „Buddenbrooks“. Bermann Fischer war die schwierige Aufgabe vorbehalten, den Verlag nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und dem Tod seines Gründers 1934 zu übernehmen und die Heimstätte von Weltautoren wie Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Hermann Hesse, Franz Werfel, Ibsen, Hamsun und Tolstoi unter den neuen ideologischen Bedingungen zu sichern. Das gelang zunächst mit einer Teilung des Verlags in einen „arischen“ S. Fischer Verlag in Berlin unter der Leitung von Peter Suhrkamp und dem neuen Bermann Fischer Verlag in Wien, wo alle jüdischen und regimefeindlichen Autoren zunächst ein neues Zuhause fanden.

Damit begann eine einzigartige „Verlagsodyssee“, eine beispiellose politische Lebensreise. Nach der Annexion Österreichs 1938 wurde der Wiener Verlag von einem SS-Verwalter übernommen, Bermann Fischers flohen mit drei Töchtern über Italien nach Schweden. Hier wurde der Verlag neu gegründet und konnte auch weiter betrieben werden, nachdem das Ehepaar nach New York fliehen musste. Dort gründete Bermann zusammen mit Fritz Landshoff die L. B. Publishing Corporation, deren Verlagsprogramm den publizistischen Kampf gegen Hitler-Deutschland mit Autoren wie George B. Shaw, Ernest Hemingway, E. M. Remarque, Franz Werfel, Stefan Zweig auch in den USA fortsetzte.

Wer sich darüber im einzelnen informieren will, sei auf die Autobiographie „Bedroht bewahrt. Weg eines Verlegers“ und auf das Buch „Wanderer durch ein Jahrhundert“ verwiesen. Wer tiefer in diese Thematik und natürlich auch Problematik eindringen will, darf sich den Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Gottfried Bermann Fischer aus den Jahren 1932 bis 1955 vornehmen und wird auf jeden Fall reich belohnt!

So hat Bermann Fischer schon am 24. April 1935 sehr entschieden in einem Brief an Katia Mann erklärt, dass er sich mit allen seinen Kräften als „Mithüter und Bewahrer des Werkes“ Thomas Manns einsetzen wolle, einem Werk, „dessen Erhaltung (...) ein grundlegender Baustein für die Zukunft ist“. Und nachdem der Weltuntergang 1945 überstanden war, widmete Bermann Fischer seinem wichtigsten Autor das erste Heft der wieder aufgenommenen Festschrift „Neue Rundschau“. In seiner Zueignung schreibt Bermann Fischer: „Wenn es heute eine Literatur in deutscher Sprache gibt, wenn heute noch eine Tradition existiert, welche die geistig-sittlichen Werte eines Deutschlands, das einstmals der Welt etwas bedeutete, überliefert, so ist das Thomas Mann in hohem Grade zu danken, seinem Werk und seiner Haltung, seiner menschlich-sittlichen Existenz.“ Der Sieg der Humanität über die Barbarei war letztlich auch der große Lebenserfolg des Verlegers. Er war im übrigen vom Untergang Hitlerdeutschlands so früh überzeugt, dass er bereits lange vor Kriegsende Schulbücher für den Neuanfang in Deutschland planen ließ.

Thomas Mann bestärkte seinen Verleger dabei nachdrücklich und konnte am 21. April 1943 dabei sogar indirekt auf die Aktivitäten der Weißen Rose verweisen: „Sie tun sehr gut daran“, schreibt Thomas Mann, „sich auf ‚den Tag’ vorzubereiten. Er kann schneller da sein, als man denkt. In München soll es tatsächlich Friedensdemonstrationen gegeben haben, und von Hitler kann man eigentlich schon sagen, wie Rochefort von Napoléon III, ‚cet imbécile de qui personne ne parle plus“. In seiner Radiorede an Deutsche Hörer vom 27. Juni 1943 wusste Thomas Mann schon mehr:

„In diesem Sommer wurde die Welt aufs tiefste bewegt von den Vorgängen an der Münchener Universität, wovon die Nachricht durch Schweizer und schwedische Blätter, erst ungenau, dann mit immer ergreifenderen Einzelheiten, zu uns gedrungen ist. Wir wissen nun von Hans Scholl, dem Überlebenden von Stalingrad, und seiner Schwester, von Christoph Probst, dem Professor Huber und all den andern; von dem österlichen Aufstande der Studenten gegen die obszöne Ansprache eines Nazi-Bonzen im Auditorium Maximum, von ihrem Märtyrertod, von der Flugschrift, die sie verteilt haben und in der Worte stehen, die vieles gutmachen, was in gewissen unseligen Jahren an deutschen Universitäten gesündigt worden ist.“ Zu diesen Worten gehört für mich ganz entscheidend der Beginn des zweiten Flugblatts: „Man kann sich mit dem Nationalsozialismus geistig nicht auseinandersetzen, weil er ungeistig ist.“ Dialektik hat gegen eine Vernichtungsideologie keine Handhabe und eine wehrhafte Demokratie muss sich dessen weiterhin sehr bewusst sein!. „(...) Brave, herrliche junge Leute! Ihr sollt nicht umsonst gestorben, sollt nicht vergessen sein. (...)“. So ruft Thomas Mann den Studenten der Weißen Rose nach, und im Tagebuch vom 27. Juni 1943 ergänzt er, die Sendung sei ihm besonders nahe gegangen, „weil einer der exekutierten Münchener Studenten Adrian hieß“ - Adrian, wie Thomas Manns Held „Doktor Faustus“. Gemeint gewesen war aber wohl Alexander Schmorell.

Dann kam „der Tag“, der Tag der Befreiung und des Neuanfangs auch für Bermann Fischer, doch nach dem Krieg kam es auch zur schmerzhaften Trennung von Peter Suhrkamp. Bermann Fischer sorgte allerdings dafür, dass vor allem Thomas Mann Fischer-Autor blieb. Das Werk Thomas Manns wurde 1960 und 1974 in einer 13-bändigen Ausgabe zusammengefasst, die bis heute die Grundlage der wissenschaftlichen Forschung ist. In diesem Frühjahr sind zudem die ersten drei Bände der groß angelegten historisch-kritischen Werkausgabe erschienen. Bermann Fischer hat zudem nach dem Krieg neben dem Rowohlt Verlag den Siegeszug des Taschenbuches eingeläutet. Das Fischer-Lexikon, die Fischer Weltgeschichte, die Fischer Taschenbücher, auch wenn sie nach intensiver Nutzung auseinander fielen, haben Generationen gebildet und bilden sie noch immer.

Das sind keine leeren Worte. Und in einer Zeit, da die Beziehungen zu Frankreich und erst recht die zu Amerika allen Ernstes in Frage gestellt werden, ist es vielleicht ratsam, sich an das weiterhin mahnende Wort des alten Bermann Fischer am Ende seiner Autobiographie zu erinnern: „Nicht ‚Bewältigung der Vergangenheit’, sondern aus Einsicht erwachsene Weltoffenheit ist die Forderung, die Ehrlichkeit der Geschichte gegenüber im Guten und im Bösen, und der Wille zur Verantwortung für die künftige Gestaltung eines Europa und einer neuen Welt: das ist es, was der kommenden Generation als Verpflichtung auferlegt ist.“

Nach dem Verkauf des Verlages 1967 an die Holtzbrinck-Gruppe zog sich Bermann Fischer allmählich aus dem Verlagsleben zurück und begann ein neues künstlerisches Leben als Maler und Bildhauer. Dafür zog er mit seiner Frau nach Italien, nach Camaiore bei Forte dei Marmi, in die Marmorberge von Carrara, wo Michelangelo seine Steine hatte brechen lassen und wo Marino Marini und Henry Moore in der Nachbarschaft wohnten. Nebenan baute sich übrigens auch Elisabeth Mann Borgese, unsere im Februar verstorbene Schirmherrin, ebenfalls ein Haus.

In dieser Landschaft, einem „Bildhauerparadies“, nahm Gottfried Bermann Fischer sein künstlerisches Leben wieder auf, das er selbst in seiner Autobiographie kommentiert: „Seit meiner Studienzeit in München habe ich mich der Bildhauerei gewidmet. immer wieder kehrte ich zu ihr zurück, wenn meine Verpflichtungen als Arzt und als Verleger es zuließen. Überall baute ich mir eine Werkstatt auf, wo es nur immer ging, in einem leeren Zimmer in Stockholm, im Keller des Hauses in Connecticut und nun in einem am Rand unseres toskanischen Hügels dafür errichteten kleinen Haus. (...) Es war ein langer Weg bis zu diesem Ort des Friedens.“

In dieser Umgebung entstand Anfang der 1970er-Jahre auch das Bronzeporträt „Thomas Mann“. Der Kopf auf einem kleinen Marmorsockel war über drei Jahrzehnte das beherrschende Motiv im Wohnraum Bermann Fischers. Der je nach Lichteinfall neu und anders erscheinende Kopf ist überlebensgroß (40 cm hoch, 20 cm tief). Einen Abguss schenkte Bermann Fischer persönlich dem Thomas-Mann-Archiv an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich.

Der Abguss für München hat demnach einen mehrfachen Sinn. Zum einen soll er die persönliche Verbindung zwischen Thomas Mann und seinem Verleger hervorheben. Zum anderen aber soll die Büste an den Lebensweg des Autors und seines Verlegers in den politisch dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert erinnern. Vor allem aber kann die Ludwig-Maximilians-Universität in München und ihre Fakultät für Literaturwissenschaften verstärkt nun auf die Bedeutung Thomas Manns gerade für das geistige Leben dieser Stadt hinweisen, wie sie im Roman „Doktor Faustus“ (1947) als Weg von der Kunststadt um 1900 zur „Hauptstadt der Bewegung“ so eindringlich dargestellt wird. Die Thomas-Mann-Halle mit ihrer Büste steht daher auch in direkter Verbindung zur „Denkstätte Weiße Rose“.

Über die Büste besteht zudem eine universitäre Verbindung mit dem Thomas-Mann-Archiv in Zürich, und verstärkt den Ansatz, eine Forschungsstätte in München aufzubauen, wo Thomas Mann und seine Familie ebenso wie die Emigranten Oskar Maria Graf, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank und Alfred Neumann dauerhaft für nachkommende Generationen ihren Ort bekommen sollten. Dabei geht es nicht um ein museales Abstellen, als vielmehr um ein aktives, kritisches Aufnehmen der wesentlichen geistigen Impulse Thomas Manns und seiner Zeitgenossen für unsere heutige, konkrete Gegenwart.

Ich darf mich daher bei allen an diesem Projekt Beteiligten bedanken. Sodann lade ich Sie nun alle ein zu einer Begegnung mit Dr. Bermann Fischer und seiner bewegten Lebensgeschichte. Unser Mitglied Eberhard Görner hat 1994, ein Jahr vor dem Tod des 98-jährigen Verlegers, ein Filmporträt erstellt, das wir uns heute und hier in ganzer Länge über 45 Minuten ansehen können. Und danach laden wir ein zum geselligen Beisammensein. Wir danken Herrn Fleischmann von der Bayerischen Staatsoper für die Spende zu diesem kleinen Empfang. Vielen Dank.